Glücksspiel wird immer beliebter, vor allem online. Doch gerade Verbraucherschützer und manche Politiker befürchten durch die Omnipräsenz von Casinos und Glücksspielen einen Anstieg pathologischen Spielverhaltens. Meist werden als Lösung vor allem eine Beschränkung und gesetzliche Regulierung des Glücksspielmarktes vorgeschlagen. Eine vermutlich konstruktivere Lösung wollen nun britische Forscher gefunden haben. Diese wollen den Kontrollverlust beim Glücksspiel mit Glücksspiel selbst bekämpfen. Was auf den ersten Blick widersprüchlich scheint, beruht auf einer Idee aus der Psychologie, die sogar mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde.
Spielsucht wirklich ein gesamtgesellschaftliches Problem?
Die Gründe, die vor allem in Deutschland, aber teils auch in anderen europäischen Staaten vorgebracht werden, um gegen die Liberalisierung des Glücksspielmarktes zu argumentieren, fußen im Regelfall auf der selben Angst: Ein Überangebot an Glücksspiel sowohl im stationären Bereich wie auch im Internet soll das Risiko zur Entwicklung krankhaften Spielverhaltens signifikant erhöhen.
Ob dies einer Tatsache entspricht, kann bislang durch Zahlen nicht nachgewiesen werden. Laut aktuellen Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) sollen zwar 78 Prozent der 16- bis 65-Jährigen in Deutschland schon einmal an Glücksspielen teilgenommen haben, allerdings soll dies nicht regelmäßig passieren. Zudem sollen lediglich vier Prozent dieser Gruppe bereit sein, mehr als 100 Euro in Casino-Spiele zu investieren.
Die Studie weist ebenfalls darauf hin, dass pathologische Spielsucht keinesfalls ein gesamtgesellschaftliches Problem ist, sondern nur bei einer marginalen Gruppe an Spielern zu identifizieren ist. So sollen circa ein Prozent der 16- bis 65-jährigen Deutschen auffälliges Spielverhalten zeigen, was allerdings nicht zwingend pathologisches Spielverhalten sein muss. Nichtsdestotrotz muss natürlich auch den wenigen Personen geholfen werden, die tatsächlich krankhaft spielsüchtig sein. Bislang versuchten therapeutische Maßnahmen aber nur, Betroffene von Glücksspielen aller Art fernzuhalten. Dass dies aber nicht zwingend der bestmögliche Weg sein muss, haben nun Forscher aus Großbritannien aufgedeckt. Diese wollen ein neues Konzept entwickeln, das Glücksspielsucht mit Glücksspiel selbst behandelt.
”Prospect Theory: So lautet der Name der wissenschaftlichen Methode. Ob dieses Konzept beim Herausfiltern von Problemspielern hilft und so Spielsucht wirkungsvoll bekämpfen kann, wäre in einer praktischen Untersuchung durchzuführen.”
Mit Nobelpreis ausgezeichnete Idee soll Spielsüchtigen helfen
Bekanntermaßen gilt Großbritannien als das europäische Land überhaupt, wenn es um die Akzeptanz von Glücksspiel geht. Insbesondere Sportwetten stehen bei den Briten hoch im Kurs. Anders als beispielsweise in Deutschland ist Glücksspiel auf der europäischen Halbinsel gesellschaftlich flächendeckend und schichtübergreifend akzeptiert. Prozentual betrachtet nehmen wesentlich mehr Briten regelmäßig an Glücksspielen teil als Deutsche. Vielleicht ist es gerade deswegen wenig überraschend, dass es britische Forscher sind, die sich intensiv mit dem Thema pathologischer Spielsucht beschäftigt haben und auch als erste innovative Konzepte entwickelten, um spielsüchtigen Personen nachhaltig zu helfen.
Der sicherlich unorthodoxe Ansatz, Glücksspielsucht mit Glücksspiel selbst zu bekämpfen, gründet sich auf dem Vorhaben, Problemspieler wesentlich schneller zu erkennen, als es aktuell geschieht, um auf diese Weise bereits therapeutische Maßnahmen zu ergreifen, noch bevor sich pathologisches Spielverhalten ausbildet. Dabei kommt den Glücksspielen selbst eine zentrale Rolle zu.
Das neue Konzept bezieht sich dabei auf eine Theorie zur Risikofreude, die erstmalig an der psychologischen britischen Gesellschaft in Harrogate vorgestellt wurde. Der Theorie stellt die Ansicht infrage, dass Menschen bei Aussicht auf einen Gewinn grundsätzlich den Weg des geringsten Risikos wählen. Eine Studie konnte belegen, dass dies nicht auf alle Menschen zutrifft, weil auch Individuen existieren, die weniger Hemmungen haben, Risiken einzugehen und nur selten den sicheren Weg wählen, selbst wenn es die rationalere Entscheidung wäre.
Die Erkenntnisse der Studie sollen nun in ein neues „Glücksspiel“ umgemünzt werden. Unter dem Namen „What is your Style?“ sollen Glücksspieler in programmierten Szenarien, die auch im echten Glücksspiel auftreten können, getestet werden. So möchte man herausfinden, welcher Personen- bzw. Risikogruppe ein Spieler zugeordnet werden kann. Je nach Ergebnis des Tests ließen sich dann bereits vor dem echten Geldeinsatz individuelle Profile entwickeln, die beispielsweise automatisch Einsatzlimits festlegen oder den Spieler von bestimmten Spielen ausschließen.
”Wir schlagen ein einfaches „Was ist Dein Style?“-Spiel vor, das nach unseren Szenarien entworfen und von den Glücksspielbetreibern eingesetzt wird, bevor überhaupt Geld die Seiten wechselt. Da die Prospect Theory zeigt, dass Menschen nicht in der Lage sind, Wahrscheinlichkeiten einzuschätzen und dann die logischste Option zu wählen, wäre es so deutlich schwieriger, die Maßnahmen zu überlisten, indem man seine Haltung zum Glücksspiel an sich verbirgt.”
Testspiele noch nicht im Einsatz
Die innovative Idee, Problemspieler bereits zu identifizieren, bevor sie überhaupt in Gefahr geraten, krankhaftes Spielverhalten zu entwickeln, klingt sinnvoll, zumal dieses Konzept auch ein alternativer Lösungsansatz wäre, um diejenigen Personen von der Liberalisierung des Glücksspiels zu überzeugen, denen vor allem das Thema Eindämmung der Spielsucht ein Anliegen ist.
Dafür braucht es aber vor allen auch die Bereitschaft der Glücksspielanbieter, mit Wissenschaft und Forschung zusammenzuarbeiten, denn natürlich müssten die Glücksspiel-Tests von Online-Casinos und Co. selbst angeboten und umgesetzt werden, wenn sich neue Kunden bei ihnen registrieren und das Online-Angebot nutzen möchten. Bislang gab es aber noch keine Kommunikation zwischen den Forschern bzw. offiziellen behördlichen Institutionen und der Glücksspielbranche.
Dies könnte sich allerdings bald ändern. Denn gerade aufgrund der aktuellen Sachlage in vielen Ländern, die von einer vollständigen Liberalisierung des Marktes teils noch recht weit entfernt ist, dürfte dieser alternative Ansatz eine Win-win-Option darstellen, die sowohl die Interessen der Glücksspielanbieter wie auch der Verbraucherschützer und Politiker berücksichtigt.